Der deutsche Fondsverband BVI zieht ein ernüchterndes Fazit zur diesjährigen Hauptversammlungssaison. „Der Dialog zwischen Eigentümern und Verwaltung der Unternehmen war wie 2020 faktisch unmöglich. Die virtuellen Treffen auf Basis der Covid-19-Notgesetzgebung haben die Hauptversammlung als oberstes Kontrollorgan und Sprachrohr der Aktionäre spürbar entwertet“, sagt Thomas Richter, BVI-Hauptgeschäftsführer.
Nach einer Untersuchung des Fondsverbands haben lediglich ein Drittel von den im HDAX vertretenen 160 Aktiengesellschaften die Reden des Vorstands vorab veröffentlicht. DAX30-Unternehmen schnitten besser ab als die im MDAX und SDAX vertretenen Gesellschaften. Nur 25 der 160 im HDAX vertretenen Unternehmen ermöglichten ihren Aktionären, im Vorfeld der Hauptversammlung (HV) Sprach- oder Videobotschaften auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen, ohne dass diese in der HV berücksichtigt wurden. Lediglich neun Unternehmen haben ihren Aktionären in der HV eine Nachfragemöglichkeit zu deren im Vorfeld schriftlich eingereichten Fragen gewährt. Keine Gesellschaft erlaubte ihren Aktionären während der HV spontane Fragen. Allein die Deutsche Bank gestand ihren Aktionären ein Rederecht in der HV zu.
Mit einer Fortsetzung der teils erheblichen Einschränkungen für Aktionäre ist mindestens bis zum 31. August 2022 zu rechnen, da der Bundestag im September einer Verlängerung der Corona-Notfallgesetzgebung auch für die Hauptversammlungssaison im kommenden Jahr unverändert zugestimmt hat. Der BVI hat dies insbesondere mit Blick auf die Entwicklung der pandemischen Lage kritisiert, da in nahezu allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen schon heute Grundrechtseinschränkungen entschärft oder zurückgenommen werden.
„Die Unternehmen werden für die anstehende Diskussion um eine Reform des Hauptversammlungsrechts noch einmal die Chance haben, bei ihren virtuellen Aktionärstreffen mehr als nur die gesetzlichen Mindestanforderungen zu erfüllen. Was wir künftig aber wieder auf Hauptversammlungen brauchen, ist ein echter Dialog zwischen Aktionären und Unternehmensleitung“, fordert Richter. Der Erhalt der sogenannten Generaldebatte, wie sie aus der Präsenzhauptversammlung bekannt ist, muss deshalb eine zentrale Rolle spielen. „Die Aktionärsrechte dürfen wie in den letzten beiden Jahren nicht mehr vom Format einer Hauptversammlung abhängig gemacht werden“, erläutert Richter. „Hybride Hauptversammlungsformate könnten hier eine gute Lösung für die Zukunft sein.“ Sie ermöglichen einerseits den direkten Dialog zwischen Aktionären und Unternehmen. Gleichzeitig bieten sie aber auch die Möglichkeit zur virtuellen Teilnahme, um zum Beispiel die Aktionärsbeteiligung zu stärken. (DFPA/TH1)
Der BVI Bundesverband Investment und Asset Management e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main ist Repräsentant der Investmentbranche in Deutschland. Die 116 Mitglieder des 1970 gegründeten Verbands verwalten rund vier Billionen Euro in Publikumsfonds, Spezialfonds und Vermögensverwaltungsmandaten und decken damit über 95 Prozent des Marktes ab.