- Wer zwischen 1995 und 2007 eine private Kapitallebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen hat, kann seinem Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen noch immer widersprechen und ihn so rückabwickeln.
- Ein Widerspruch ist möglich, wenn Versicherer ihrer Informationspflicht nicht oder nur unzureichend nachgekommen sind.
- Einige Versicherer lehnen die Rückabwicklung alter Verträge jedoch ab, halten Verbraucher hin oder versuchen, sie mit fadenscheinigen Ausreden abzuwimmeln.
- Die Verbraucherzentrale Hamburg hat bereits vier Versicherer abgemahnt, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ignoriert und die Rückabwicklung von Verträgen abgelehnt haben.
Hinhalten, mauern, abwimmeln. Einige Versicherer setzen sich über die Urteile des Bundesgerichtshofs zum Widerspruch bei privaten Lebens- und Rentenversicherungen einfach hinweg und lehnen die Rückabwicklung alter Verträge ab. Da ist von „Verfassungsbeschwerden“ die Rede, von „Verwirkung“ oder „Verjährung“ und manche schieben sogar eine vermeintliche „Kündigung“ als Grund vor oder versuchen es mit einer „Nachbelehrung“.
- Die Generali Lebensversicherung verweist auf Verfassungsbeschwerden von Versicherern und schreibt, dass es „verfassungsrechtlich nicht entschieden ist, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (…) Bestand haben wird“. Die Provinzial-Versicherung argumentiert: „Sie werden daher sicherlich nachvollziehen können, dass wir (…) Ihre Ansprüche erst anerkennen können, wenn diese höchstrichterlich durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurden.“
- Die Postbank Lebensversicherung machte eine Verwirkung des Widerspruches geltend, weil ihr Kunde die Änderung seiner Adresse mitteilte und keine Erhöhungen seiner Beiträge wünschte.
- Die DBV Deutsche Beamtenversicherung wiederum setzte sich über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 8. April 2014, Az. IV ZR 103/15) hinweg und erhob die Einrede der Verjährung.
- Die Allianz Lebensversicherungs-AG behandelte den Widerspruch einer Verbraucherin als Kündigung und das obwohl die Betroffene explizit schrieb, dass es sich nicht um eine Kündigung, sondern um einen Widerspruch handelte. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.
- Die Nürnberger Lebensversicherung lehnt den Widerspruch ihrer Kunden ab – mit der Begründung, dass sie nachbelehrt habe.
Versicherer erhalten Abmahnungen
- Die Neue Leben Lebensversicherung AG meint in ihren Ablehnungsschreiben, dass sie inhaltlich und formell korrekt über Widerspruchsrecht und -frist informiert habe, dass der Anspruch bereits verjährt oder durch die vorangegangene Kündigung eines Vertrags kein Widerspruch mehr möglich sei. Wir sahen darin eine Irreführung und haben den Versicherer erfolgreich abgemahnt.
- Die Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG hat die Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages gegenüber einem Verbraucher abgelehnt, obwohl sie nach Urteilen des Bundesgerichtshofs zum Widerspruchsrecht dazu verpflichtet gewesen wäre. Wir haben das das Ablehnungsschreiben der Versicherungsgesellschaft als unlautere irreführende geschäftliche Handlung abgemahnt.
- Wir haben die Allianz Lebensversicherungs-AG wegen Irreführung abgemahnt, weil Versicherte nach einem Widerspruch Ablehnungsschreiben erhielten, obwohl die Widerspruchsbelehrung laut Bundesgerichtshof fehlerhaft war. Verbrauchern wurde im Kleingedruckten eine Widerspruchsfrist von einem Monat eingeräumt, obwohl zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein Zeitraum von 30 Tagen galt und ein Monat auch 28 oder 29 Tage haben kann.
- Die Generali Versicherung schrieb ihrem Kunden: „Der Bundesgerichtshof war in den verhandelten Fällen von einer unzureichenden Belehrung über das Widerspruchsrecht ausgegangen. Das trifft nach unserer Auffassung für den hier vorliegenden Vertrag nicht zu. Ein Widerspruch ist nach unserer Ansicht nicht mehr möglich. Wir lehnen es daher ab, die Versicherung von Beginn an aufzuheben.“ Doch wir kamen nach einer Prüfung der Vertragsunterlagen zu einem anderen Schluss. Die Widerspruchsbelehrung des Vertrags war sehr wohl fehlerhaft. Zum einen sollte der Verbraucher laut Belehrung seinen Widerspruch nur per Brief erklären können, doch auch eine E-Mail ist zulässig. Zum anderen fehlte in der Belehrung ein zwingender Hinweis darauf, dass zur Wahrung der Widerspruchsfrist die rechtzeitige Absendung des Widerspruches genügt. Wir haben den Versicherer erfolgreich abgemahnt. Die Generali hat im September 2019 eine Unterlassungserklärung unterschrieben.
Argumente der Versicherer
- Korrekte Belehrung: Immer wieder legen uns Verbraucher Schreiben vor, in denen Versicherungsgesellschaften behaupten, sie hätten korrekt über das Widerspruchsrecht informiert. Schauen wir uns die Vertragsunterlagen dann genauer an, kommen wir oft zu einem anderen Ergebnis. Wir raten Betroffenen daher, nicht alles für bare Münze zu nehmen und sich lieber eine zweite unabhängige Meinung einzuholen.
- Verfassungsbeschwerde: Eine Verfassungsbeschwerde ins Feld zu führen, ist absurd, denn sie klärt lediglich, ob die Versicherer aufgrund des BGH-Urteils Forderungen gegen den deutschen Staat geltend machen können. Die Beschwerde hat auf bereits bestehende Verpflichtungen der Versicherer gegenüber ihren Kunden keinen Einfluss. Die bisher ergangenen BGH-Urteile in Sachen Widerspruch haben daher weiterhin Rechtskraft und müssen von den Versicherungen umgesetzt werden.
Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht die beiden Verfassungsbeschwerden der AachenMünchener Lebensversicherung AG nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 1 BvR 2230/15 und 1 BvR 2231/15). Damit bestätigten die Verfassungsrichter in Karlsruhe die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 7. Mai 2014 zum Widerspruchsrecht. Versicherer sollten sich nun nicht mehr auf eine vermeintliche Verfassungsbeschwerde berufen. - Verwirkung: Auch das vorgeschobene Argument der Verwirkung ist Humbug. Der Bundesgerichtshof hat bereits klargestellt, dass sich ein Versicherer nicht auf Verwirkung berufen kann, wenn er es versäumt hat, einen Kunden ordnungsgemäß zu belehren (Urteil vom 7. Mai 2014 , Az. IV ZR 76/11).
- Verjährung: Einige Gesellschaften behaupten, der Anspruch sei verjährt. Das ist ebenfalls nicht zulässig, denn auch über die Verjährung von Ansprüchen im Rahmen des Widerspruchs hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (Urteil vom 8. April, Az. IV ZR 103/15). Demnach beginnt die dreijährige Verjährungsfrist grundsätzlich erst mit der Ausübung des Widerspruchs. Deshalb kann auch bereits vor langer Zeit beendeten Verträgen im Nachgang widersprochen werden.
- Kündigung: Manche Versicherer behandeln den Widerspruch als reguläre Kündigung und zahlen nur den Rückkaufswert aus. Dieses Vorgehen ist rechtswidrig. Wenn Sie ausdrücklich widersprechen, muss Ihr Versicherer diese Erklärung als Widerspruch behandeln und eben nicht als Kündigung. In der Regel erhalten Sie nach einem Widerspruch mehr Geld zurück.
- Nachbelehrung: Eine Nachbelehrung ist unseres Erachtens gar nicht möglich, da der Gesetzestext den Zeitpunkt der Belehrung klar vorschreibt. Demnach muss bei der Aushändigung des Versicherungsscheines ordnungsgemäß belehrt werden.
Für die Versicherungsgesellschaften geht es um viel Geld. Deshalb spielen manche Versicherer offensichtlich auf Zeit und versuchen, ihre Kunden zu entmutigen. Uns liegen zahlreiche Schreiben von Verbrauchern vor, die von ihren Versicherern hingehalten werden.
Welchen Verträgen kann widersprochen werden?
Wer zwischen 1995 und 2007 eine private Kapitallebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen hat, kann seinem Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen noch immer widersprechen. Vor allem für Verbraucher, die sich frühzeitig von ihrer Versicherungspolice getrennt und daher nur einen geringen Teil der eingezahlten Beiträge zurückerhalten haben, kann ein nachträglicher Widerspruch zu einer erheblichen Nachzahlung führen.
Voraussetzung für den Widerspruch ist, dass fehlerhaft oder nicht ausreichend über den Vertrag informiert wurde. Auch wenn die dazugehörigen Versicherungsbedingungen oder die Verbraucherinformation nicht beim Versicherten angekommen sind, ist ein Widerspruch möglich. Wir prüfen Ihren Vertrag.
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